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Papiertheater

NM 5987

«Die ganze Welt ist eine Bühne […]» – Ein Papiertheater von Welt in Nidwalden

Auf einem unscheinbaren Brett mit Rillen steht ein hölzernes Gerüst. Daran sind über grosse Nägel und Schnüre Vorhangteile aus Papier gehängt. Die ebenfalls aus Papier gestaltete Vorderseite imitiert eine Architektur, genauer: eine Bühnenarchitektur. Ihre Gestaltung evoziert beim Betrachten sogleich Bilder von schillernden, fremden, vielleicht magischen Welten – Welten, wie man sie nur im Theater erleben kann.

Sogenannte «Papiertheater» haben eine lange Tradition. Die ersten wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England produziert, danach folgten überall im deutschsprachigen Raum Verleger mit der Herausgabe von Papiertheaterbogen, die dank dem 1798 erfundenen Steindruck (Lithographie) auch mühelos in grosser Stückzahl produziert werden konnten. Als Vorläufer gelten die Guckkasten-Dioramen des Barocks, genauso wie die kleinen Haustheater, in denen mit Marionetten etwa Komödien nachgespielt werden konnten. Das Papiertheater war nicht nur wegen seines geringen Platzverbrauchs beliebt, sondern auch wegen seiner Einfachheit im Aufbau: In wenigen Schritten und mit nur wenigen Hilfsmitteln konnte man den gekauften Papierbogen selbst kolorieren, mit Holz oder Karton verstärken und zur eigenen kleinen Bühne zusammenbauen. Diese konnte je nach Wunsch bespielt werden, man hielt sich jedoch meist eng an die gerade aktuellen Stücke in den «grossen» Theatern. Dazu wurden neben den Papierbogen für die Bühnenbilder jeweils auch solche mit den Hauptfiguren der Stücke verkauft. Ausserdem wurden extra gekürzte Drehbücher und Regieanweisungen in Form kleiner Büchlein produziert. Dies ermöglichte es insbesondere auch jüngeren Menschen, einen spielerischen Zugang zu den grossen Dichtern wie Goethe, Schiller oder Shakespeare zu finden. Gerade auch dieser pädagogische Wert des Papiertheaters liess es zu einem festen Bestandteil vieler gutbürgerlicher Wohnungen werden. Als Folge der politischen Veränderungen um 1800 gelang es dem erstarkten Bürgertum, in viele Bereiche vorzustossen, die vormals der Aristokratie vorbehalten waren – unter anderem das Theater. Das Papiertheater spiegelt aber auch das Bedürfnis nach einer ruhigen, biedermeierlichen Welt nach den napoleonischen Kriegen wider.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Funktion des Papiertheaters. Bereits vorher bei Kindern sehr beliebt, entwickelte es sich nun endgültig zum Kinderspielzeug. In den überlieferten Texten, Figuren- und Bühnenbogen finden sich immer weniger Klassiker, dafür tauchen immer mehr Märchen auf. Aus dem Theater wurde gewissermassen eine Art Puppenhaus, in dem nicht mehr nur vorgegebene Stücke, sondern auch frei erfundene mit eigens gebastelten Figuren gespielt wurden.

In der Schweiz selbst wurden keine Papiertheater produziert, stattdessen importierte man sie vor allem aus Deutschland und Frankreich. Unser Beispiel aus der Sammlung des Nidwaldner Museums stammt mit grösster Wahrscheinlichkeit aus dem J. Scholz Verlag in Mainz, der vor allem vor der Jahrhundertwende zahlreiche verschiedene Papiertheater herausbrachte. Es ist unklar, wie unser Objekt von Mainz nach Nidwalden gelangte. Das Papiertheater verweist aber bestimmt auf die grosse Theaterbegeisterung im Kanton, die auch heute noch greifbar ist: Beinahe jede Ortschaft hat eine eigene Theatergesellschaft, das Spektrum der Aufführungen reicht dabei von alten Klassikern über Märchen bis hin zu eigenen Stücken. Diese Leidenschaft lässt sich bereits im 19. Jahrhundert belegen, in der Zeit also, als unsere Papiertheater ihre Blütezeit erlebten. Als wohl älteste in Nidwalden führt die Theatergesellschaft Stans schon 1824 J. C. Haigels Stück «Die Schlacht bei St. Jakob» auf, bald darauf folgen Gründungen weiterer Gesellschaften in anderen Gemeinden. Es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass auch das Papiertheater seinen Weg in unsere Gegend gefunden hat. Das Objekt ist nicht nur ein Zeuge seiner Zeit, es verweist auch auf eine Begeisterung für das Theaterspielen, die bis heute anhält. Und wie schon Shakespeare sagte: «Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Frauen und Männer blosse Spieler.» [1]

Autorin: Bettina Thommen, Mai 2019

Literatur

  • Walter Röhler, Grosse Liebe zu kleinen Theatern. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Papiertheaters (Hamburg 1963).
  • Réne Schiffmann und Dominik Wunderlin, Papiertheater. Kleiner Musentempel im Bürgerhaus. Ausstellungsführer zur Ausstellung des Historischen Museums Thurgau in Zusammenarbeit mit dem Museum der Kulturen Basel vom 27. November 2004 bis 03. April 2005 im Schloss Frauenfeld (Frauenfeld 2004).
  • Herbert Zwiauer, Papiertheater. Bühnenwelt en miniature (Wien 1987).
  • Ernst Jakob Blättler, Aus der Geschichte des Theaterspielens von Stansstad, Kehrsiten und Rotzloch (Hergiswil 1994).

[1] William Shakespeare, Wie es euch gefällt: 2. Akt, 7. Szene.

Bild zur Ausstellung: Papiertheater