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Fronleichnamsaltar Deschwandenhaus

NM 4602 / NM 5439

Die hier gezeigte Fotografie entstand um 1900 und zeigt einen Fronleichnamsaltar in seiner ganzen Pracht vor dem ebenfalls festlich geschmückten Deschwanden- bzw. Oberhaus in Stans. Dieser Altar wurde bis weit ins 20. Jahrhundert zum Anlass dieses kirchlichen Feiertages jeweils vor dem Deschwandenhaus am Rathausplatz aufgestellt. Heute befindet er sich in Besitz der Sammlung des Nidwaldner Museums. Das mehrteilige «Ungetüm» füllt im Sammlungsdepot fünf ganze Holzpaletten und stellt somit eines der umfangreichsten Objekte der Sammlung dar. Dieser Umstand und die Tatsache, dass das diesjährige Fronleichnamsfest vor der Türe steht, soll uns einen Blick auf dieses besondere Artefakt und die Bedeutung des Fronleichnamsfestes wert sein.

Gerade in der katholischen Schweiz stellten das 19. und frühe 20. Jahrhundert eine von politischen und religiösen Umwälzungen geprägte Epoche dar. Daher war zu jener Zeit gerade in diesen Landesteilen die öffentliche Zurschaustellung des katholischen Glaubenswelt ein wesentliches und sinnstiftendes Element des Erlebens der Religion als Gemeinschaft. Im Kanton Nidwalden stellte im Laufe des Kirchenjahres das seit dem Mittelalter gefeierte Fronleichnamsfest eines der bedeutendsten und prunkvollsten dieser Gemeinschaftserlebnisse dar. Fronleichnamsaltäre wie der hier erwähnte können aufgrund ihrer Ausmasse und optischen Pracht als beeindruckende Symbole der Bedeutung dieses Feiertages betrachtet werden.

Fronleichnam ist ein katholisches Hochfest zur Feier der bleibenden Gegenwart Jesu Christi in der heiligen Kommunion (mittelhochdeutsch «fronlichname» = Leib des Herrn). Wichtigste Bestandteile des Fronleichnamsfests sind eine Messe mit Kommunion sowie eine Prozession.

Die Nidwaldner Schriftstellerin Maria Generosa Christen-Odermatt (1921-2014) beschreibt in ihrem Buch «Willkumm zuenis» in bildhafter Sprache, wie im frühen 20. Jahrhundert in Stans jedes Haus entlang der Prozessionsroute mit Blumen, Heiligenbildern, selbstgefertigten kleinen Hausaltären und sogar edlen Teppichen geschmückt war. Es herrsche ein regelrechter Wettbewerb um den schönsten Hausschmuck und der ganze Ort erstrahlte in einmalig festlichem Glanz. Dank den ausführlichen Schilderungen von Christen-Odermatt wissen wir auch, wie der Stanser Prozessionszug zu ihren Jugendzeiten ausgesehen haben muss und wer alles daran teilnahm: Zuvorderst marschierte die Stanser Jugend und die Blasmusik, gefolgt von den Jungfrauen – damit sind die unverheirateten Frauen gemeint – den vom Studentenverein Struthonia angeführten Kollegischülern, den Fahnen schwenkenden Stanser Vereinen, den ebenso stolzen wie nervösen Erstkommunikanten, dem singenden Kirchenchor, den Ministranten, den Weihrauchfässer schwingenden Kapuzinern, den Geistlichen und natürlich der gesamten Politprominenz. Den Abschluss bildete das «Wiibervolch», die verheirateten Frauen und Mütter. Das Herzstück des Umzugs bildete die unter einem prächtigen Baldachin von einem Pfarrer getragene goldene Monstranz. Das Kernelement dieses liturgischen Schaugeräts ist die geweihte Hostie, welche die wahrhafte Gegenwart Christi symbolisieren soll und auch als das «Allerheiligste» bezeichnet wird. Dementsprechend ehrfurchtsvoll begegnete man diesem Objekt und sich ihm während der Prozession schon nur nähern zu können, stellte eine grosse Ehre dar.

Doch wozu genau dienten diese Fronleichnamsaltäre?

Während der Prozession wurde an vier Standorten vom Pfarrer jeweils die Anfänge eines der vier Evangelien vorgetragen und mit der Monstranz der Wettersegen in alle vier Himmelsrichtungen erteilt. Entlang des reichgeschmückten Prozessionsweges befanden sich an ebendiesen vier Standorten die reich geschmückten Fronleichnamsaltäre. Der Fronleichnamsaltar vor dem Deschwandenhaus war also einer von vier Fronleichnamsaltären in Stans und markierte den vierten und letzten Standort der Prozession.

Über Herkunft und Alter dieses Fronleichnamsaltars kann aufgrund fehlender Quellen nur gemutmasst werden. Zahlreiche prunkvolle Fronleichnamsaltäre wurden in der Barockzeit im 18. Jahrhundert gefertigt. Da einzelne Altarelemente wie der kunstvoll geschnitzte Baldachin aufgrund ihrer Gestaltung darauf hindeuten, ist anzunehmen, dass zumindest die ältesten Teile dieses Altars ebenfalls in jener Zeit geschaffen wurden und im 19. Jahrhundert um weitere Elemente ergänzt wurden. Sicher ist, dass er seit Ende der 1980er-Jahre stückweise aus dem Besitz der Familie Kayser-von Matt aus Stans als Schenkung an das Nidwaldner Museum überging. Er ist aus Holz, Metall und textilen Materialien gefertigt und besteht aus dem eigentlichen Altar mit einer Marienstatue (welche sich als einziges Element des Altars nach wie vor im Besitz der Familie Kayser-von Matt befindet), sechs versilberten Holzkerzenstöcken, zwei Spiegeln, sechs Säulen sowie einer Vielzahl von Textilverzierungen.

Auch wenn dieser Fronleichnamsaltar heutzutage keine Verwendung mehr findet und die Zusammensetzung des Prozessionszuges etliche Veränderungen erfahren hat, so feiert man das am zweiten Donnerstag nach Pfingsten begangene katholische Hochfest in Stans nach wie vor.

Autor: Cyrill Willi, Juni 2021

Literatur

Bild zur Ausstellung: Fronleichnamsaltar Deschwandenhaus
Foto: StANW, Fotonachlass Franz Kaiser, OD 100-1/9:60