Der Herd im Winkelriedhaus
Braten, backen, frittieren: Der Herd im Winkelriedhaus
Objekte sind Zeugen: Zeugen einer Zeit, einer Funktion, einer Bedeutung oder Symbolik, Zeugen von Wissen und auch Zeugen bestimmter Sitten und Bräuche. Objekte – und vor allem diejenigen des Alltags – führen uns vor, wie gelebt wurde. Welche geschlechterspezifischen Rollenverteilungen herrschen vor und wodurch zeichnen sich Herrschaftsverhältnisse aus? Wo und welcher Wert wird auf Hygiene gelegt oder ganz konkret; welche Bedeutung wird dem Objekt als Gebrauchs- oder auch als Ziergegenstand überhaupt zugewiesen? Im Monat Februar stellen wir als Objekt den Herd vor, dieser befindet sich in der Küche des Winkelriedhaus. Weil der Monat Februar hierzulande eng verknüpft ist mit dem Brauch der Fasnacht, soll ausgehend von der Küche die Frage zum typischen Fasnachtsgebäck gestellt werden. Denn bevor mit dem Aschermittwoch die Fastenzeit begonnen hat, wurde und – das will wohl niemand bestreiten – wird nach wie vor, gern geschlemmt und ausgiebig genossen. Dass es sich vor allem um frittierte Süssigkeiten wie Schänkeli, Fasnachtschüechli oder Zigerkrapfen handelt, ist kein Zufall, sondern hängt eng mit der historischen Praxis des letzten Schlachtens vor der Fastenzeit zusammen.
Der Besitz einer Küche beziehungsweise einer Feuerstelle war überall und zu allen Zeiten von grosser Wichtigkeit. Feuer und Herd werden als lebensspendende Elemente empfunden und nehmen deshalb in Bezug auf das Wohnen und die Wohnstätte eine Sonderstellung ein. Vorstellungen von Wärme, Heim, von Friede und Ordnung werden daran geknüpft – darauf deuten Ausdrücke wie die «Herdgemeinschaft» hin: Die direkte Wärme und das sichtbare Feuer hielten die Hausgemeinschaft zusammen. Die Küche im Winkelriedhaus dürfte vergleichbar sein mit den vorwiegend im 16. Jahrhundert entstandenen Bürgerküchen, welche sich durch tischartige Herde mit einer Höhe von 50 bis 100 cm und einer Fläche von 1 bis 2 m2 auszeichneten. Die Höhlung an der Vorderseite des Herdes wurde üblicherweise zum Nachtrocknen von Brennholz verwendet. Weil die Brandgefahr bei offenen Herden gross war, wurden hohe Küchenwölbungen und ein mauerumschlossener Raum rings um den Herd gebaut. Der Feuerhut, der auch in der Küche des Winkelriedhauses vorhanden ist, war eine Massnahme gegen die Feuerfunken und wurde in vielen Fällen zusätzlich als Schlot genutzt, der den Rauch über das Dach hinausgeleitet hat. Die Holzdecke in der Küche des Winkelriedhauses ist erst bei der Renovation eingebaut worden; Holz war selbstverständlich nicht brandsicher. Wo früher Einraumhäuser die Regel waren und der Herd in der Mitte des Raumes platziert war, konnte mit den zusätzlichen Massnahmen zum Feuerschutz die Feuerstelle an die Wand rücken. Vor allem in mehrstöckigen Häusern brauchte man ohnehin einen Kaminanschluss, was die Entwicklung eines separaten Raumes erforderte. Diese Bewegung ist auch im Winkelriedhaus sichtbar, dort steht der Herd in der Ecke. Der auf dem vorderen Teil platzierte Eisenherd wurde übrigens erst später eingebaut.
Da das Winkelriedhaus über lange Zeit von gutbürgerlichen Familien bewohnt wurde, darf davon ausgegangen werden, dass in dieser Küche Angestellte gearbeitet haben. Ob sie zur Fasnachtszeit und vor dem Aschermittwoch, der die Fastenzeit einläutete, gleichfalls zahlreiche Leckereien hergestellt haben, kann nur gemutmasst werden. Trotzdem soll die Küche hier beispielhaft als Herstellungsort dienen, von dem aus wir uns der Geschichte und Bedeutung des traditionellen Fasnachtsgebäck nähern wollen.
Da die christlichen Fastengebote dazu aufriefen, vor der Fastenzeit alle verderblichen Lebensmittel wie Eier, Butter, Rahm, Fleisch und Schmalz aufzubrauchen, mussten Rezepte kreiert werden, mit denen man möglichst viel dieser Ingridenzien verwerten konnte. Nicht zufällig nennt man deshalb den letzten Donnerstag vor Fastenbeginn den «Schmutzigen Donnerstag»: «Schmutzig» geht auf das mittelhochdeutsche Wort «smuz» oder «smutz» zurück, das so viel wie Dreck, Fett oder Schmiere bedeutet. Der Schmutzige Donnerstag bot die letzte Möglichkeit zu schlachten und damit einhergehend fettige Speisen zu geniessen. Das Fett vom Schlachten wurde wiederum für das Frittieren des Gebäcks verwendet, welches nach der deftigen Wurst als Dessert aufgetischt wurde. Etwas anrüchig ist vielleicht auch der Brauch des «Chüechlischenkens» bei dem die jungen Frauen ihre männlichen Verehrer zum «Chüechliessen» einluden. Nachdem sie den Teig der Fasnachtschüechli über ihren nackten Knien dünn gezogen hatten, kamen die Burschen in der Nacht zu Besuch, um die «Chüechli» abzuholen und offenbar auch anderweitig beschenkt zu werden. Die Wortherkunft des «Güdismäntig» und «Güdiszieschtig» deutet ebenfalls auf diese letzten ausgiebigen Schlemmereien hin. Der «Güdel» nämlich meint den Magen, den man sich vor der Enthaltsamkeit noch einmal vollschlägt.
Das Fasnachtsgebäck wird damit einerseits funktional eindeutig einordbar, nämlich über die Praxis des Schlachtens und des letzten Verwertens wertvoller Lebensmittel. Andererseits hat das Schlemmen, die Leckereien, das viele fettige und süsse Essen vor der Fastenzeit auch einen symbolischen, gemeinschaftlichen Wert. Denn solche Festmahlzeiten sind mit grosser Wahrscheinlichkeit in grosszügiger Gesellschaft eingenommen worden. Und auch die Liebeleien zwischen den jungen Frauen und Männern beim Brauch des «Chüechlischenkens» mögen diesen Gemeinschaftssinn und den damit verbundenen Genuss widerspiegeln.
Autorin: Magdalena Bucher
Quellen
- Benker, Gertrud: In alten Küchen. Einrichtung – Gerät – Kochkunst. München 1987.
- Moser, Hans: Fasnacht, Fassnacht, Faschang. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde. Festschrift für Robert Wildhauer. Nr. 68-69, 1973. S. 433-453.
- Spechtenhauser, Klaus: Feuer, Kachel und Radiator: Wärme und Öfen waren zentral für die Raum- und Hausgestaltung. In: Hochparterre. Zeitschrift für Architektur und Design. Nr. 24, 2011.
- http://www.coopzeitung.ch/fasnacht (Stand: 16.2.2015)
- http://woerterbuchnetz.de/DWB/ (Stand: 16.2.2015)