Bierzipfel
NM 13540
Als ein Zeichen brüderlicher Verbundenheit kann das Objekt des Monats November bezeichnet werden. Der «Bierzipfel» gehörte dem Vater des gleichnamigen Stanser Künstlers Hans von Matt (*1899 in Stans, NW), dessen Werke in der Ausstellung «Nachhall und Witterung – Ausgewählte Werke aus der Sammlung des Nidwaldner Museums» gezeigt werden.
Das Objekt erinnert auf den ersten Blick an einen Orden und besteht aus einem dreifarbigen, mit Seidenfasern durchwebten Stoff in den Farben grün, weiss, rot, sowie aus vier versilberten Metallplaketten, und einem kleinen Karabinerhaken. Die Ränder des Stoffes sind mit einem Metallfaden eingefasst, auch «Perkussion» genannt. Auf den Metallplaketten sind Gravuren zu erkennen: Zuoberst «H. Büttiker s[einem] / l[ieben] Freund». Darunter ist inmitten eines floralen Musters ein sogenannter Zirkel zu sehen. Zirkel leitet sich vom lateinischen Wort «circulus» ab und ist als Kreis, Freundeskreis, oder auch Zirkel gleichgesinnter Studenten zu verstehen. Er dient als Erkennungszeichen einer Studentenverbindung. Auf der dritten Plakette ist der Name «H[ans] von Matt» eingraviert, und schliesslich kann man auf dem letzten Metallstück «Luzern 1887» erkennen.
Das beschriebene Objekt, ein «Bierzipfel», wird in Studentenverbindungen als Zeichen eines besonderen Freundschaftsverhältnisses zwischen zwei Mitgliedern getauscht. Bei Verbindungen die noch heute das studentische Fechten ausüben, dienen sie als Erinnerungsstücke an gefochtene Mensuren. Bei einer Mensur handelt es sich um eine zwischen zwei Verbindungsstudenten abgemachte Fechtpartie, die mit scharfen Rapieren ausgetragen wird. «Bierzipfel» werden zudem als Markierungen des eigenen Bierkruges verwendet. Ursprünglich dienten sie der Vermeidung von Infektionskrankheiten.
Der Ursprung solcher studentischer Schmuckanhänger ist nicht gänzlich geklärt. Einige Quellen sehen den Bierzipfel als einen Überrest der alten soldatischen Tracht, wie sie der Student des 18. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet getragen hat. Die Degenkoppel, eine Art Gürtel an dem der Degen getragen wurde, war wie der frühere Offiziersdegen mit Farben und Kordeln geschmückt. Aus diesen Kordeln soll der Bierzipfel hervorgegangen sein, dieser versinnbildlicht bis heute die studentische Wehrhaftigkeit. Für den Zipfel charakteristisch sind der farbige Stoff, sowie der eingravierte Zirkel. Beide Elemente weisen auf diejenige Verbindung hin, welcher der tauschende Student angehört; jede Studentenverbindung besitzt eine eigene Farbfolge wie auch eine eigene Zirkelform.
Studentenverbindungen sehen ihre Wurzeln in den sogenannten «Nationes», den Zusammenschlüssen von ausländischen Studenten gleicher Nationalität und Sprache, die sich im Mittelalter an den ersten Universitäten gebildet hatten. Mit der Zeit entwickelte sich eine eigene studentische Kultur und Lebensweise heraus, die schliesslich im 19. Jahrhundert zu Gründungen von modernen Studentenverbindungen führte. Sie sind bis heute von Studierenden organisierte Gemeinschaften, die sich als Lebensbund verstehen. Als Hauptzweck gelten generationsübergreifende Kontakte und lebenslange Freundschaften zwischen den einzelnen Mitgliedern, aber auch das sogenannte «Netzwerken» kann ein Grund für einen Beitritt sein. Lange war die Mitgliedschaft nur männlichen Studenten vorbehalten. Als manche Verbindungen aufgrund der 68er Bewegung an Mitgliedermangel litten, öffneten sich einige auch Studentinnen gegenüber. Allerdings gibt es heute vergleichsmässig wenige gemischtgeschlechtliche und vereinzelte reine Frauenverbindungen.
Zum hier vorgestellten Bierzipfel kann abschliessend gesagt werden, dass er den Ausdruck tiefer Freundschaft zwischen einem Herrn H. Büttiker und Herrn Hans von Matt darstellt. Er wurde 1887 in Luzern getauscht. Die Studentenverbindung, welcher die Tauschenden angehörten, kann nicht eindeutigen ausgemacht werden, da der Zipfel keine eindeutigen Merkmale einer bestimmten Verbindung aufweist. Vielmehr wurden die drei Bandfarben sowie der Zirkel des Schweizerischen Studentenvereins, eines der grössten Dachverbände der Schweiz, gewählt. Aufgrund des eingravierten Jahres 1887 kann man aber davon ausgehen, dass der tauschende Verbindungsstudent der «Akademischen Verbindung Semper Fidelis» angehörte, da im besagten Jahr nur diese Verbindung in Luzern existiert hat.
Autor: Miodrag Roncevic, 2014
Literaturangaben
- George Turner, Joachim D. Weber, Hochschule von A-Z. Orientierungen – Geschichte – Begriffe, Berlin 2004.
- Hermann Rink, «Die Mensur, ein wesentliches Merkmal des Verbandes», in: «Wir wollen Männer, wir wollen Taten!» Deutsche Corpsstudenten 1848 bis heute, hrsg. vonRolf-Joachim Baum, Berlin 1998.
- Schweizerischer Studentenverein: http://www.schw-stv.ch, 20.10.14, 10:41.