Armillarsphäre
Das Wort «Armilla» bedeutet «Armreif». Die vielen Ringe, die den Globus in der Mitte der Armillarsphäre wie kostbare Reifen umgeben, stehen für den schönsten Schmuck des Himmels: für die Sterne, die Planeten, und den Mond. Armillarsphären sind bewegliche und handwerklich meisterhaft gefertigte Modelle des Himmels, die dazu dienten, die Umlaufbahnen der verschiedenen Himmelskörper sichtbar zu machen. Diese kostbaren Objekte sind aber auch ein Hinweis auf Macht und Status.
In den ältesten, antiken Versionen der Armillarsphäre bildete die Erde das Zentrum des Modells und der Sonne war ein Ring zugeteilt, in dieser Ausführung gaben diese Sphären also das geozentrische Weltbild wieder. Im 16. und 17. Jahrhundert veränderte sich die Sicht auf die Welt und das All radikal, so rückte die Sonne in der Vorstellung der Menschen ins Zentrum unserer Galaxie. Die Armillarsphäre hatte sich zu dieser Zeit bereits von einem wissenschaftlichen zu einem künstlerischen Objekt gewandelt. Andere Instrumente wie das Astrolabium, eine «Kombination aus drehbarer Sternkarte, Visierinstrument zur Winkelmessung und astronomischem Rechenschieber» [1] aus Metallen wie Messing oder Kupfer, waren genauer und liessen sich praktischer verwenden und mitnehmen. Demgegenüber war die Armillarsphäre nie dazu gedacht, Berechnungen anzustellen. Sie diente als bewegliches Modell des Himmels, wie wir diesen von der Erde aus wahrnehmen. Aus einem Demonstrations – und Lehrobjekt entwickelte sich deshalb zunehmend ein Kunstgegenstand. Armillarsphären sind schwierig zu bauen und bestehen aus hochwertigen Materialien. Auch die in der aktuellen Ausstellung «Alte Meister» gezeigte Armillarsphäre fällt unter die Kategorie der Kunstobjekte- Verzierungen, wie zum Beispiel geschnitzte Tierfüsse am Sockel oder aufwändige Prägearbeiten in Bronze und Kupfer auf dem Globus, folgen vielmehr ästhetischen Ansprüchen als dem Ziel, astronomische Informationen weiterzugeben.
Nicht nur in Europa, sondern auch in vielen anderen Kulturen der Welt nahm die Astronomie früh einen wichtigen Platz in der Philosophie und der Wissenschaft ein. Erst seit dem 18. Jahrhundert ist die Trennung zwischen der naturwissenschaftlichen Astronomie und der religiös-esoterischen Astrologie zu beobachten. Vorher waren diese beiden Aspekte eng miteinander verknüpft. Eine Grundfunktion der alten Astrologie war die Bestimmung von guten und schlechten Zeitpunkten für religiöse, politische und gesellschaftliche Rituale, wie zum Beispiel die Aussaat im Frühling. Aus diesem Grund mussten die Menschen dazu fähig sein, die Zeichen des Himmels darzustellen und vorauszusagen. Das Studium des Nachthimmels ist weltweit verbreitet und wird seit Menschengedenken in verschiedensten Formen ausgeübt. Es gibt Astronomien der lateinamerikanischen Hochkulturen, aus China, der Südpazifikkulturen, aus der islamischen Welt und aus Indien. Besonders die europäische, islamische und die indische Astronomie besitzen eine verflochtene Geschichte: Die antike griechische Astronomie wurde im Zuge der Eroberungsversuche Alexander des Grossen und dank Handelskontakten bis in den Nahen Osten und das heutige Indien getragen. Dieses Wissen blieb in diesen Kulturen lebendig und kehrte im Mittelalter mit den Mauren nach Europa zurück. Die indische, die islamische und die europäische Astronomie verfügen über dieselben Sternzeichen, eine ähnliche Vorstellung vom Himmelsgewölbe und verwenden (unter anderem) die Armillarsphäre zur Darstellung.
Die Armillarsphäre aus dem Bestand des Nidwaldner Museums stammt aus Indien und gehörte vermutlich dem Maharadscha des Königreichs von Mysore in Südindien. Sie wurde im 18. Jahrhundert gebaut, zu einer Zeit also, in der bereits unterschiedlichste und genauere astronomische Instrumente bekannt waren. Diese Armillarsphäre wird auch als Prunkastrolabium bezeichnet, ein Hinweis darauf, dass sie nicht als Lehr- oder Studienobjekt, sondern als Repräsentationsgegenstand geschaffen wurde. Im Zentrum der Armillarsphäre befindet sich die Erde. Der Äquator und der Meridian bilden die Fassung, wobei die Scheibe des Äquators gleichzeitig die Halterung für die gesamte Ringkonstruktion ist. Die Wendekreise der Sonne und der Tierkreiszeichen formen ein Geflecht aus Ringen um die Erde herum. Auf dem Globus sind Reliefs und die verschiedenen Sternzeichen eingraviert. Die Ringe sind drehbar, so dass sich der Lauf einer Sternenkonstellation um die Erde während eines Jahres simulieren lässt [2]. Zur Darstellung exakter Beobachtungspunkte sind die Längen- und Breitengrade auf den Ringen der Wendekreise eingeteilt und mit den indisch-arabischen Zahlen beschriftet. Unter dem grossen Globus befindet sich eine zweite Kugel, die die Erde in einem kleineren Format wiederholt.
Eine Armillarsphäre kann die Welt bedeuten. Ein gutes Beispiel dafür ist die portugiesische Flagge. Sie zeigt unter dem Wappen des Königshauses eine Armillarsphäre, die als Symbol für die Seemacht des portugiesischen Königreichs gilt, war man doch zur Zeit der grossen Entdeckungen auf die Astronomie als Navigationstechnik angewiesen. Auch andere Institutionen, die die ganze Welt im Fokus haben, verwenden Armillarsphären als Symbol für diese Gesamtheit. So steht vor dem UNO-Hauptgebäude in Genf eine ebensolche Skulptur.
Die Armillarsphäre aus der Frey-Näpflin Sammlung holt die ganze Welt in den Pavillon des Winkelriedhauses: einerseits als Darstellung unseres Planeten, andererseits als ein kunsthandwerkliches Objekt, das aus einer weit entfernten Kultur stammt, die aber vielleicht gar nicht Welten entfernt ist.
Autorin: Alexandra Heini,2017
Literaturangaben
- Martin Brunold, «Das Astrolabium», in: Cartographica Helvetica: Fachzeitschrift für Kartengeschichte Nr. 23,2001, 19-25.
- Alejandro Gangui, Roberto Casazza, Carlos Paez, «From the Scale Model of the Sky to the Armillary Sphere» in: Physics Teacher Nr.52.7, 2015.
- Sho Hirose, «Two Versions of a Description of the Armillary Sphere in Paramesvara’s Goladipika», in: Centaurus Nr. 58, 2016, 66-86.
- Martin Kemp, «Moving in Elevated Circles», in : Nature Nr. 466, 2010,33.
- Louis Joseph Mondhare, Louis Denis: De la Sphére. Kupferdruck, Paris 1780. (http://biblio.unibe.ch/web-apps/maps/zoomify.php?col=ryh&pic=Ryh_1002_34, 13.3.2017)
[1] http://www.deutsches-museum.de/sammlungen/meisterwerke/meisterwerke-iii/astrolabium/
[2] In dieser Animation des Museum of the History of Science Oxford ist dieses Prinzip gut erklärt (in Englischer Sprache):