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Anatomielehrbuch von Johann Melchior Wyrsch

NM 2580

Johann Melchior Wyrsch, geboren 1732 in Buochs, gilt als der bedeutendste Nidwaldner Porträtmaler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Neben zahlreichen Malereien und Zeichnungen sind auch Vorstudien, Lehrstücke oder maltheoretische Schriften von ihm erhalten. Das Objekt des Monats Januar ist eine von Wyrsch im Jahr 1776 verfasste Beschreibung der menschlichen Anatomie und Proportionen.

Wer den Körperbau eines Menschen oder eines Tieres genau kennt, ist in der Lage, diesen in den richtigen Proportionen wiederzugeben. Dank eines analytischen Zugangs wird es dem Zeichnenden möglich, realistische Darstellungen zu schaffen. Das Studium des Körperbaus wird seit der Antike für Vorstudien oder im Rahmen der Ausbildung von Kunstschaffenden genutzt. Bis heute werden die Strukturen und das Innere des Körpers nicht fotografisch, sondern viel häufiger zeichnerisch wiedergegeben. Das Zeichnen sowie das Studium der Anatomie sind historisch eng miteinander verschränkt. Einerseits wurden Beobachtungen und Ergebnisse für medizinische Zwecke in Zeichnungen festgehalten, andererseits interessierten sich gerade Künstler stets dafür, die Körperlichkeit des Menschen in möglichst vielen Facetten zu erfassen. Besonders bekannt sind die anatomischen Zeichnungen der italienischen Renaissance-Meister, allen voran der Vitruvianische Mensch von Leonardo da Vinci. Diese Zeichnung – die inzwischen auch auf Mausmatten und Geschirrtüchern zu finden ist – spiegelt sowohl die Wiederentdeckung antiker Lehren als auch die erneute Faszination für Studien zur Proportionionalität, wie sie in der Malerei der Renaissance anzutreffen sind.

Die «Einleitung zur Proportion und Auslegung der Anatomie» [Titel des Traktats, sinngemäss] aus dem 18. Jahrhundert ist eine von zwei maltheoretischen Schriften Johann Melchior Wyrschs und im Originalmanuskript erhalten. Der Text der ersten Seite lautet wie folgt:

Folgende einleitung zu der Proportion
des menschlichen leibs, und darauf folgende
auslegung der anatomie habe ich Johann
Melchior Joseph Wyrsch Mahler Anno 1776
gezeichnet, und auf gesetzt. Solches zu meinem
nutzlichen gebrauch, als leichte anleitung
und underweisung an andere der mahlerey-
kunst liebhaber die solche lehrnen wollene

(Transkription mit Auflösung der Abkürzungen von Lynn Zimmermann)

Dieses Hilfsmittel für das Anatomiestudium kann man als «Handbuch für Maler» verstehen wie die Formulierung «zu meinem nutzlichen gebrauch» nahelegt. Ähnlich eines Nachschlagewerks oder einer Bauanleitung diente diese Schrift als Referenz- und Lehrmittel, um Menschen realistisch abzubilden. Die tiefgreifende Kenntnis des Körperbaus, verbunden mit einer sorgfältigen Beobachtung, sind jene Fähigkeiten, die Wyrsch selber pflegte und seinen Schülern vermittelte. Als Porträtmaler setzte er sich Zeit seines Schaffens mit der Darstellung des Menschen auseinander und fertigte viele Abbilder von Gesichtern und Körpern an. Seine Porträts wirken nicht zuletzt wegen der anatomischen Genauigkeit, zum Beispiel der Proportionalität des Augenabstandes und der Nasenlänge eines Menschen realistisch. Um das Bild einer bestimmten Person zu malen, sind einerseits diese technischen Details, andererseits die genaue Widergabe von individuellen Merkmalen notwendig. Als erfolgreicher Porträtmaler vermochte Johann Melchior Wyrsch diese beiden Ansprüche auf sehr hohem Niveau umzusetzen.

Literatur

  • August Froriep, Anatomie für Künstler. Kurzgefasstes Lehrbuch der Anatomie, Mechanik, Mimik und Proportionslehre des menschlichen Körpers, Nachdruck der Ausgabe von 1899, Dresden 2015.
  • SIKART online, Eintrag: Johann Melchior Wyrsch, http://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023362, Zugriff 18.1.2018
  • Johann-Melchior Wyrsch, 1732-1798, Ausst.-Kat. Nidwaldner Museum, Stans, 21.6. – 11.10.1998, hrsg. von Matthias Vogel, Regine Helbling und Marianne Baltensberger, Basel 1998.
Bild zur Ausstellung: Anatomielehrbuch von Johann Melchior Wyrsch